Aufenthaltsbestimmungsrecht des obhutsberechtigten Elternteils

 

Das Bundesgericht hat mit Entscheid vom 1. Juni 2010 eine praxisrelevante Änderung seiner Rechtsprechung vorgenommen (Entscheid des Bundesgerichts 5D_171/2009): Der Inhaber der alleinigen Obhut darf mit den Kindern auch gegen den Willen des anderen Elternteils wegziehen, namentlich auch ins Ausland. Dies gilt auch dann, wenn der andere Elternteil als Mitinhaber der elterlichen Sorge mit dem Wegzug nicht einverstanden ist. Der wegziehende Elternteil bedarf für den Wegzug weder einer Erlaubnis der Behörden, noch macht er sich einer Entführung im Sinne des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen strafbar. Vorbehalten bleiben Rechtsmissbrauchsfälle, die z.B. dann vorliegen können, wenn der Wegzug ins Ausland eine gänzliche Vereitelung des Kontakts zwischen Kind und dem anderen Elternteil oder eine sonstige Gefährdung des Kindeswohls (z.B. wegen ungenügender medizinischer Versorgung am neuen Ort) bedeuten würde. Eine längere Anreise an den Besuchswochenenden ist aus Sicht des Bundesgerichts für sich allein gesehen kein Grund, von Rechtsmissbrauch auszugehen. Vielmehr ist in diesen Fällen das Besuchsrecht den neuen Umständen anzupassen.

Der nicht obhutsberechtigte Elternteil kann eine richterliche oder vormundschaftliche Verfügung zu erwirken versuchen, mit welcher der Wegzug untersagt wird. Ein solches Verbot setzt nach Auffassung des Bundesgerichts jedoch eine Gefährdung des Kindeswohls voraus. Solange der Wegzug nicht gerichtlich oder durch die Vormundschaftsbehörde verboten wurde, ist ein Rückführungsgesuch, gestützt auf das entsprechende Haager Übereinkommen, nicht möglich.

Dieses neue Urteil des Bundesgerichts stärkt klar den obhutsberechtigten Elternteil zu Lasten des nicht obhutsberechtigten, selbst wenn letzterer Mitinhaber der elterlichen Sorge ist. Viele der in den vergangenen Jahren gestützt auf das obgenannte Haager Übereinkommen verfügten Rückführungen dürften aufgrund dieses neuen Bundesgerichtsurteils künftig nicht mehr bewilligt werden.

Dr. Caroline Cron