Welche Gerichte sind nun eigentlich nach dem Brexit für Klagen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zuständig?

Für die vor dem 31.12.2020 eingeleiteten zivilrechtliche Streitigkeiten gelten nach Art. 67-69 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft v. 31.01.2020 die bisherigen Vertragsregelungen, insbesondere auch die Verordnung Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO). Ob es hierbei auf die Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit ankommt, lässt sich aus dem Wortlaut nicht eindeutig entnehmen. Art. 32 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO spricht aber dafür, dass der Eingang eines Schriftsatzes bei Gericht für die Einleitung nach im oben genannten Sinn ausreicht.

Für ab dem 01.01.2021 eingeleitete Streitigkeiten zivilrechtliche Streitigkeiten gilt die Brüssel Ia-VO nicht mehr, ebenso wenig wie andere EU-Verordnungen über den Zivilprozess (z.B. EuZVO, EuBVO; EuMVVO)

Für Deutschland gilt weiter die Brüssel Ia-VO. Für Klagen von Personen, die keinen Wohnsitz in einen Mitgliedstaat haben, gilt nach Art. 6 Brüssel Ia-VO das autonome Recht der Mitgliedssaaten. Das heißt, dass für Deutschland die Regeln über die örtliche Zuständigkeit nach §§ 12 ff. ZPO anwendbar sind, insbesondere auch der exorbitante Gerichtsstand des § 23 ZPO (Belegenheitsort des Vermögens) ist anwendbar.Weitere Klagemöglichkeiten in Deutschland gibt es u.a. zugunsten von Verbrauchern (Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) und Arbeitnehmern (Art. 21 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 Brüssel Ia-VO). Gleiches gilt für die in Art. 24 Brüssel Ia-VO aufgeführten ausschließlichen Gerichtsstände.

Für Großbritannien richtet sich die Zuständigkeit nach dem autonomen Recht seiner Länder nach den Regeln des common law, wobei hierbei zwischen den einzelnen Ländern England, Wales, Schottland und Nordirland zu unterscheiden ist.  Für England und Wales ist insbesondere Part 6 of the Civil Procedure Rules 1998 zu beachten, der die Einreichung von Klagen regelt.

Sehr fraglich ist, ob zwischen Deutschland und GB das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.07.1960 wieder auflebt, das in Art. 4 auch einige Fälle der Zuständigkeit im Verhältnis Deutschland-GB regelt. Die britische Regierung geht bisher abgesehen von einer Rechtswahl nach dem Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2005 ausschließlich von der Anwendbarkeit des common law aus. Da die EU-Kommission sich gegen eine erneute Geltung des bilateralen Übereinkommens ausspricht, besteht die Gefahr, dass hierauf gestützte Zuständigkeiten vom EuGH als Verstoß gegen den gesetzlichen Richter verworfen würden.

Für die Anerkennung und Vollstreckung gilt jeweils das autonome Recht, für Deutschland  insbesondere §§ 328, 722, 723 ZPO.

Großbritannien hat seinen (erneuten) Beitritt zum Haager Gerichtsstandübereinkommen vom 30.06.2005 erklärt, dem GB bereits zuvor als EU-Mitglied angehörte. Dieses ist auch nach dem 01.01.2021 weiterhin zwischen Deutschland und GB anwendbar.

Hinsichtlich der Durchführung des Zivilprozesses finden folgende Übereinkommen ab dem 01.01.2021 wieder Anwendung, die jedoch nicht die Zuständigkeit regeln:

  • Haager Übereinkommen über den Zivilprozess von 01.03.1954 (HZPÜ)
  • Haager Übereinkommen  vom  15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im  Ausland  in  Ziviloder  Handelssachen  (HZÜ) sowie als Zusatzvereinbarung
  • Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Ziviloder Handelssachen vom 18.03.1970 (HBÜ)
  • Deutsch Britisches Abkommen über den  Rechtsverkehr  vom  20.03.1928.

Karlsruhe, 25.01.2021

Rebecca Schäfer (ref. jur.)

Christian Schlemmer
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht
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