Probleme in der Lieferkette Am aktuellen Beispiel des Coronavirus (SARS-CoV-2) (Teil 3)

Teil 3: Wenn Lieferanten nicht mehr liefern können…
Schadensersatz, Rücktritt und ein neues Leistungsverweigerungsrecht

 

Viele Unternehmen haben momentan mit den Folgen der COVID-19-Pandemie zu kämpfen. An diesem aktuellen Beispiel wird deutlich, dass ein Vorfall dieses Ausmaßes zu vielen Problemen in den Lieferketten der (Welt-)Wirtschaft führen kann. So kann der Fall eintreten, dass ein Hersteller, Zulieferer etc. als Schuldner einem Gläubiger eine vereinbarte Ware aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht mehr liefern kann.

Daher stellt sich für viele Unternehmen die Frage, welche Rechte und welche Handlungsmöglichkeiten sie in einem solchen Fall haben.

Die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten, die sich aus der Unmöglichkeit der Leistung gem. § 275 BGB ergeben, wurden bereits in Teil 2 dargestellt. Darüber hinaus gibt es noch andere Handlungsoptionen für Schuldner und Gläubiger, die in diesem Beitrag dargestellt werden sollen. Weitere Informationen und Handlungsoptionen finden sich darüber hinaus in Teil 4 und 5.

 

a) Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht gem. §§ 280 Abs. 1, 283 BGB

 

In Teil 2 wurde der Ausschluss der Leistungspflicht des Schuldners gem. § 275 Abs. 1 BGB und sein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 275 Abs. 2 BGB dargestellt. Wenn ein Schuldner seine Rechte aus § 275 BGB ausübt, könnte ein deutsches Unternehmen als Gläubiger gegen seinen Zulieferer grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 283 BGB haben.

 

§ 283 BGB
Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen.

 

Erforderlich ist dafür allerdings, dass der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.

Ausgehend von dem Fall, dass es dem Schuldner aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht möglich ist, seine Leistungspflicht zu erfüllen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. In diesem Fall hätte ein deutsches Unternehmen auch keinen Anspruch gegen seinen Zulieferer auf einen gegebenenfalls entstandenen Schaden. Im Gegenteiligen Fall, in dem das Unternehmen der Schuldner ist, muss es jedoch auch keinen Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 283 BGB leisten.

 

b) Rücktritt gem. §§ 326 Abs. 5, 323 BGB

 

Wenn ein Schuldner seine Rechte aus § 275 BGB ausübt, könnte ein deutsches Unternehmen als Gläubiger jedoch ein Rücktrittsrecht gem. §§ 326 Abs. 5, 323 BGB haben.

 

§ 326 Abs. 5 BGB
Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, kann der Gläubiger zurücktreten; auf den Rücktritt findet § 323 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass die Fristsetzung entbehrlich ist.

 

Dafür müsste das Unternehmen seinen Rücktritt gegenüber dem Schuldner erklären.

 

  • Darüber hinaus kommt es im Einzelfall darauf an, ob die Voraussetzungen des § 323 BGB erfüllt sind.

 

c) Neues Leistungsverweigerungsrecht aus Anlass der COVID-19-Pandemie

 

Der Gesetzgeber hat das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 erlassen und damit die Weichen für ein neues Leistungsverweigerungsrecht gestellt.

 

Durch Art. 5 dieses Gesetzes wird Art. 240 EGBGB neu gefasst und enthält in § 1 Abs. 2 ein Moratorium für Kleinstunternehmen. Ein Kleinstunternehmen ist ein Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 2 Millionen Euro. Dieses hat durch § 1 Abs. 2 ab dem 01. April 2020 das vorübergehende Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs aus einem Dauerschuldverhältnis bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern. Die Bundesregierung hat außerdem die Möglichkeit, die Dauer des Leistungsverweigerungsrechts gem. § 4 bis zum 30. September 2020 oder einem noch längeren Zeitraum zu verlängern, wenn zu erwarten ist, dass das soziale Leben, die wirtschaftliche Tätigkeit einer Vielzahl von Unternehmen durch die COVID-19-Pandemie weiterhin in erheblichem Maße beeinträchtigt bleibt.

 

Eine Voraussetzung für dieses neue Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners ist, dass das Dauerschuldverhältnis bereits vor dem 08. März 2020 geschlossen wurde. Außerdem steht dem Kleinstunternehmen das Leistungsverweigerungsrecht nur zu, wenn infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, das Unternehmen entweder die Leistung nicht erbringen kann oder dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre. Diese Vorschrift enthält somit eine Spezialregelung zu § 275 BGB, welcher bei Vorliegen der Voraussetzungen hinter der neuen Regelung zurücktreten dürfte. Allerdings ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 sehr eng.

 

Denn dieser ist nicht nur auf Kleinstunternehmen beschränkt, sondern auch auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zu Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs erforderlich sind. Sie beziehen sich auf Geldleistungen und andere Leistungen. Dabei dürfte es sich jedoch weniger um Verträge im Rahmen von Lieferketten handeln, sondern vielmehr um Leistungen der Grundversorgung des Unternehmens.

 

Das Kleinstunternehmen kann gem. § 1 Abs. 3 S. 2 das Leistungsverweigerungsrecht nicht geltend machen, wenn dessen Ausübung für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung zu einer Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs führen würde. In diesem Fall steht dem Schuldner das Recht der Kündigung zu.

 

Der Anwendungsbereich des Leistungsverweigerungsrecht soll sich über den Wortlaut hinaus auch auf Rückgewähransprüche, vertragliche Schadensersatzansprüche und Aufwendungsersatzansprüche erstrecken und hilft damit, nicht nur die Entstehung von Primäransprüchen, sondern auch die von Sekundäransprüchen zu vermeiden.

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