Probleme in der Lieferkette am aktuellen Beispiel des Coronavirus (SARS-CoV-2) (Teil 4)

Teil 4: Wenn Lieferanten nicht mehr liefern können…
Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB

 

Viele Unternehmen haben momentan mit den Folgen der COVID-19-Pandemie zu kämpfen. An diesem aktuellen Beispiel wird deutlich, dass ein Vorfall dieses Ausmaßes zu vielen Problemen in den Lieferketten der (Welt-)Wirtschaft führen kann. So kann der Fall eintreten, dass ein Hersteller, Zulieferer etc. als Schuldner einem Gläubiger eine vereinbarte Ware aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht mehr liefern kann.

 

Daher stellt sich für viele Unternehmen die Frage, welche Rechte und welche Handlungsmöglichkeiten sie in einem solchen Fall haben.

 

Insbesondere kann für den Schuldner die Möglichkeit bestehen, dass er aufgrund von § 275 BGB mit allen damit verbundenen Konsequenzen nicht mehr leisten braucht. Der Gläubiger müsste daraufhin keine Gegenleistung mehr erbringen oder kann ggf. vom Vertrag zurücktreten.

 

Ein deutsches Unternehmen könnte aber auch - alternativ zu dem bisher in Teil 2 und 3 aufgezeigten Möglichkeiten - sowohl als Gläubiger als auch als Schuldner der Leistung von seinem Vertragspartner die Anpassung des Vertrages verlangen.

 

§ 313 Abs. 1 BGB
Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

 

Zwischen dem Erlöschen der Leistungspflicht aufgrund von Unmöglichkeit gem. § 275 BGB und der Vertragsanpassung aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB besteht häufig ein Abgrenzungsproblem. Doch wenn der Tatbestand des § 275 BGB und damit Unmöglichkeit der Leistungserbringung vorliegt, kommt eine Anwendung des § 313 BGB nicht mehr in Betracht.

 

Im Gegensatz zu § 275 Abs. 2 BGB umfasst der § 313 BGB z.B. Fälle der Preissteigerung auf Seite der Produktions- oder Beschaffungskosten, bei denen das Gläubigerinteresse mit der Preissteigerung ansteigt und beides nicht in einem groben Missverhältnis zueinandersteht. Dies ist im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie vorstellbar, da es durch Verbote von Produktionen oder einer stark gesteigerten Nachfrage auf dem Markt zu Engpässen und damit auch zu einer Preissteigerung der Produkte kommen kann. § 313 BGB könnte auch als der Auffangtatbestand für die Fälle gelten, bei denen eine rechtliche Unmöglichkeit der Leistung nicht angenommen werden kann, weil durch die Behörden oder die Bundesregierung nur eine Empfehlung und kein Verbot ausgesprochen wurde.

 

Es kann auch Konkurrenzfälle geben, in denen sich Umstände als grobe Unverhältnismäßigkeit i.S.d. § 275 Abs. 2 BGB aber auch als schwerwiegende Umstandsveränderung i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB darstellen. In diesen Fällen kann der Schuldner die Wahl treffen, ob er sich auf sein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 275 Abs. 2 BGB berufen möchte und somit gar nicht leistet und einen Rücktrittsgrund für seinen Vertragspartner auslöst, oder ob er eine Vertragsanpassung mit seinem Vertragspartner anstrebt.

 

  • Aus Sicht des Unternehmens ist zumindest im Einzelfall zu prüfen, ob der § 275 BGB oder § 313 BGB Anwendung findet und im Konkurrenzfall welche Handlungsmöglichkeit dem Interesse des Unternehmens am ehesten entspricht.

 

Grundsätzlich werden die Handlungsmöglichkeiten nach § 275 Abs. 2 oder § 313 BGB restriktiv gehandhabt. Es erfordert einen großen Begründungsaufwand, um ein grobes Missverhältnis i.S.d. § 275 Abs. 2 BGB oder eine schwerwiegende Änderung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB anzunehmen. Allerdings ist ein Ereignis wie die COVID-19-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft im Laufe der jüngeren Geschichte einmalig und führt zu wirtschaftlichen Einschneidungen, die es in diesem Umfang bisher noch nicht gab. Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Ausnahmesituation durch die §§ 275 und 313 BGB (ggf. auch durch Anwendung durch die Rechtsprechung) Rechnung getragen wird.

 

Ist eine Anpassung des Vertrages jedoch nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, kann der benachteiligte Teil gem. § 313 Abs. 3 BGB zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

Tätigkeitsfelder von Jörg Schröder

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