Anspruch auf Prüfungswiederholung bei unfairem Verfahren
Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13.10.2010 (AZ: 7 K 3908/09) konnte eine Entscheidung erstritten werden, die dem – an sich sehr weiten – Gestaltungsspielraum einer Prüfungskommission klare Grenzen setzt. Auch hat das Verwaltungsgericht in dieser Entscheidung klargestellt, dass keine übertriebenen Anforderungen an die Rechtzeitigkeit der Rügeerhebung durch den Prüfling zu stellen sind.
Gegenstand der Entscheidung war die Durchführung einer Prüfung, bei der einer Frage eines Prüfers unverhältnismäßig großen Raum zugebilligt wurde, obgleich der Prüfling diese Frage – für die Prüfungskommission ersichtlich – nicht beantworten konnte. Das Gericht ist unserer Argumentation gefolgt, wonach die Prüfung unter Verletzung des aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) folgenden Rechts auf ein faires Verfahren abgehalten wurde. Danach ist darauf Bedacht zu nehmen, dass auch der Prüfungsstil, der Ablauf des Prüfungsverfahrens und die Prüfungsatmosphäre nach Möglichkeit leistungsverfälschende Verunsicherungen des Prüflings ausschließen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die hier gegenständliche Art und Weise der Befragung das Recht des Prüflings auf ein faires Verfahren verletzt. Zwar, so das Gericht, unterfällt die Organisation und Gestaltung der mündlichen Prüfung und damit auch die Intensität und Ausführlichkeit der Befragung grundsätzlich dem Gestaltungsspielraum der Prüfungskommission (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.02.1995 – 6 B 87/94 –, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 344). Dieser Gestaltungsspielraum, so das Gericht, endet jedoch dort, wo sich die Prüfungskommission wegen der Art der Befragung kein ausreichendes Bild über die Fähigkeiten und Leistungen des Prüflings machen konnte bzw. eine leistungsverfälschende Verunsicherung des Prüflings eintritt. Dabei hielt es das Gericht schon nicht (mehr) vom Gestaltungsspielraum gedeckt, dass auf eine einzige Frage ca. die Hälfte der gesamten Prüfungszeit aufgewendet wird, zumal der Prüfling ausdrücklich erklärte, er könne diese Frage nicht beantworten. Der Prüfling wurde nicht, wie von der Prüfungskommission argumentiert, sinnvoll an die Lösung der Prüfungsfrage herangeführt. Vielmehr handelte es sich hier um eine reine Wiederholung der eigentlichen Prüfungsfrage, die dem Prüfling – anders als etwa die Bildung von Beispielsfällen – keinen weiteren Zugang zum Prüfungsthema eröffnete.
Das Verwaltungsgericht hat sich in dieser Entscheidung auch mit dem Zeitpunkt der Rüge dieses Verfahrensfehlers auseinandergesetzt. Eine solche Rüge hat – nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung – unverzüglich durch den Prüfling zu erfolgen. Dies ist dann (noch) der Fall, wenn dem Prüfling eine Rüge zu einem früheren Zeitpunkt nicht zuzumuten war. Bei der Beurteilung dieser Frage sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die Gründe zu berücksichtigen, welche die Rügepflicht rechtfertigen. Denn die Rügepflicht soll zum einen verhindern, dass der Prüfling, indem er in Kenntnis des Verfahrensmangels zunächst die Prüfung fortsetzt und das Prüfungsergebnis abwartet, sich mit einer späteren Rüge eine zusätzliche Prüfungschance verschafft, die ihm im Verhältnis zu den anderen Prüflingen nicht zusteht und ihnen gegenüber das Gebot der Chancengleichheit verletzten würde. Zum anderen soll der Prüfungskommission eine schnellstmögliche Aufklärung und ggf. noch rechtzeitige Behebung bzw. Kompensation des Mangels ermöglicht werden. Im konkreten Fall ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Prüfling nicht vorgeworfen werden kann, nicht schon während der Durchführung der mündlichen Prüfung oder unmittelbar nach deren Beendigung den Verfahrensfehler gerügt zu haben. Denn in der angespannten und kritischen Situation der mündlichen Prüfung musste sich der Prüfling auf das Prüfungsgespräch konzentrieren und konnte nicht mit der gebotenen Ruhe und Zeit das erlebte Prüfungsgeschehen nachvollziehen sowie Beanstandungen erheben. Auch sah das Gericht hier keinen Anlass, dem Prüfling das Erschleichen einer zusätzlichen Prüfungschance vorzuwerfen. Denn das Prüfungsergebnis war dem Prüfling bereits im Anschluss an die mündliche Prüfung bekannt; die etwas mehr als zwei Wochen nach der mündlichen Prüfung erhobene Rüge war daher nicht verspätet.
Dr. Rico Faller
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Karlsruhe