Die Frage nach der Gültigkeit von Verjährungsverzichten: BGE 132 III 226

 

1. Grundlagen

a. Verjährung

Die Verjährung kann definiert werden als Entkräftung einer Forderung durch Zeitablauf (siehe etwa: Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, Zürich 2003, N 3455). Die Entkräftung beschlägt nicht den Bestand der Forderung. Die Forderung selbst geht nicht unter. Sie beschlägt vielmehr die Durchsetzbarkeit der Forderung, indem der Schuldner das Recht erhält, die eingeklagte Leistung durch Einrede zu verweigern.

b. Verjährungsfristen

Die ordentliche Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre (Art. 127 OR). Sie gilt für alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes vorsieht, insbesondere für zahlreiche Forderungen aus Vertrag. Für Ansprüche aus Delikt (Art. 41 OR) und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 67 OR) gilt nach Art. 60 Abs. 1 OR bzw. Art. 67 Abs. 1 OR eine doppelte Verjährungsfrist, nämlich eine einjährige Frist seit Kenntnis des Gläubigers (relative Frist) und eine zehnjährige Frist, die mit der schädigenden Handlung bzw. der Entstehung des Bereichungsanspruches zu laufen beginnt (absolute Frist).

c. Verjährungsverzichte und gesetzliche Einschränkungen der Parteiautonomie

In der Praxis häufig anzutreffen sind Verjährungsverzichtserklärungen des Schuldners. Abgegeben werden derartige Erklärungen typischerweise zur Abwendung rechtlicher Schritte. Der Gläubiger soll davon entbunden werden, zum Zwecke der Unterbrechung der Verjährung eine Betreibung oder Klage anzuheben. Verjährungsverzichtserklärungen sind aber nicht unbesehen zulässig: Nach Art. 129 OR können Verjährungsfristen des dritten Titels des OR (Art. 114 bis Art. 142 OR) nicht abgeändert werden. Gemäss Art. 141 Abs. 1 OR kann auf die Verjährung nicht im Voraus verzichtet werden. Die beiden Bestimmungen bildeten Anlass zu kontroversen Diskussionen.

2. Die zentralen Aussagen von BGE 132 III 226

Das Bundesgericht hat in BGE 132 III 226 (= Pra 12/2006, Nr. 146) einen Grundsatzentscheid zum Verjährungsverzicht gefällt. Der Entscheid betrifft einen Sachverhalt, auf welchen die ordentliche (zehnjährige) Verjährungsfrist von Art. 127 OR Anwendung fand. Er enthält folgende zentralen Aussagen:

Zwischen Art. 129 OR und Art. 141 OR besteht ein enger Zusammenhang. Der Gesetzgeber wollte mit der Formulierung, auf die Verjährung könne nicht zum Voraus verzichtet werden, nur verbieten, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf die Verjährung zu verzichten, das heisst noch bevor die Forderung entstanden ist. Dieses Verbot gilt für alle Verjährungsfristen, nicht nur für diejenigen des dritten Titels des OR.

Nach Vertragsabschluss kann der Schuldner bei allen Verjährungsfristen, auch im Rahmen der Fristen, welche im dritten Teil des OR geregelt sind, noch während laufender Verjährung auf die Einrede der Verjährung verzichten. Der Verjährungsverzicht ist bei allen Verjährungsfristen auch noch nach Ablauf der Verjährung möglich.

Der Verjährungsverzicht darf nicht für eine Dauer erklärt werden, welche die ordentliche zehnjährige Frist (Art. 127 OR) übersteigt, unabhängig von der im konkreten Fall geltenden regulären Verjährungsfrist.

BGE 132 III 226 hat wesentliche Fragen im Zusammenhang mit Art. 129 und Art. 141 Abs. 1 OR beantwortet. Zu beachten ist allerdings, dass jede Erklärung eines Schuldners, in der er gegenüber seinem Gläubiger sinngemäss erklärt, auf die Verjährung (oder auf die Einrede der Verjährung) in einer bestimmten Form "zu verzichten", auslegungsbedürftig ist und ihrerseits unklar sein kann. Je nach Wortlaut der Erklärung kann zum Beispiel fraglich sein, ob von einem unzulässigen Verzicht zum Voraus auszugehen ist oder nicht. Zur Vermeidung späterer Konflikte empfiehlt es sich daher dringend, die Erklärung sorgfältig und sprachlich klar abzufassen.

Dr. Nicolas Meyer

Lenz • Caemmerer

25. Januar 2007