Zu schnell unterwegs!

 

Eine gut ausgebaute Strasse am Jurasüdfuss entlang dem linken Bielerseeufer mit malerischem Blick auf See und Rebberge verbindet die beiden Städte Biel und Neuenburg miteinander. Auf den einzelnen Streckenabschnitten wechselt die zulässige Höchstgeschwindigkeit häufig zwischen 60 und 80 km/h. Einem unachtsamen Automobilisten wurde dies zum Verhängnis; er wurde auf einem signalisierten innerorts Strassenabschnitt mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit 60 km/h mit einer Geschwindigkeit von 94 km/h geblitzt. Nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h betrug seine massgebliche Geschwindigkeit noch 89 km/h und die Geschwindigkeitsübertretung somit 29 km/h. Wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziffer 2 SVG wurde er verurteilt, was regelmässig als zusätzliche administrative Massnahmen einen befristeten Führerausweisentzug nach sich zieht.

Diese Verurteilung folgt einer Gerichtspraxis, wonach ungeachtet der konkreten Umstände eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln vorliegt, wenn nach Abzug der Sicherheitsmarge die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen um 35 km/h, ausserorts um 30 km/h und innerorts um 25 km/h überschritten wird. In solchen Fällen ist der objektive Tatbestand der Missachtung einer wichtigen Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise sowie der ernstlichen Gefährdung der Verkehrssicherheit erfüllt. Hieraus wird automatisch geschlossen, dass auch der subjektive Tatbestand, nämlich ein rücksichtsloses Verhalten des Automobilisten, erfüllt ist. Diesen starren Automatismus, wonach beim Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale gleichzeitig auch die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 23. Oktober 2009 nicht bestätigt, sondern ausgeführt, dass auch die Gefährlichkeit der gefahrenen Geschwindigkeit berücksichtigt werden muss. Es führte hiezu aus, dass der betreffende Strassenabschnitt gut ausgebaut und übersichtlich ist, dannzumal ideale Sicht-, Licht- und Witterungsverhältnisse herrschten und geringer Verkehr vorhanden war. Obwohl der Automobilist innerorts deutlich zu schnell gefahren war, beurteilte das Gericht unter Würdigung der gesamten Umstände sein Verhalten nicht als rücksichtslos, sondern lediglich als pflichtwidrig. Es konnte in der Fahrt des Automobilisten nicht ein klassisch rücksichtsloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern erblicken. Das Gericht wies demzufolge die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung als einfache Verkehrsregelverletzung zurück, was mit Busse geahndet wird und als administrative Massnahme eine Verwarnung statt einen Führerausweisentzug nach sich ziehen kann.

Dr. Felix Iselin