Haftung des Geschäftsführers wegen Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen vor der Insolvenz

Jeder Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er im Stadium der Insolvenzreife (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht an die Einzugstelle abführt, zugleich aber Zahlungen an andere Gesellschaftsgläubiger leistet, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zum 14. Mai 2007 verneinte wegen der Pflichtenkollision des Geschäftsführers zwischen der Massesicherungspflicht und der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung eine Haftung des Geschäftsführers, wenn dieser grundsätzlich gar keine Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen leistete. Ausgenommen waren nur Zahlungen, die nach damaliger Betrachtungsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren.

Nach der neuen, mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Mai 2007 (Az: II ZR 48/06 weitergeführt durch BGH, Urteil vom 29.09.2008 – II ZR 162/07) eingeleiteten Rechtsprechung, macht sich ein Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB schadensersatzpflichtig und strafbar, wenn er nach Ablauf der längstens dreiwöchigen Frist zur Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung nach § 15 a InsO (bis 31.10.2008: § 64 Abs. 1 GmbHG) seine Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung nicht erfüllt. Der Schadensersatz entspricht dem Betrag der nicht abgeführten Beiträge, den der Geschäftsführer aufgrund seiner persönlichen Haftung dann aus eigenen Mitteln zu ersetzen hat.

Da der während der Insolvenzantragsfrist nach der strafrechtlichen Judikatur gegebene Rechtfertigungsgrund rückwirkend entfällt, ist der Geschäftsführer verpflichtet, die rückständigen Arbeitnehmeranteile nachzuzahlen und künftige Anteile zum jeweiligen Fälligkeitstermin abzuführen, wenn er die Frist verstreichen lässt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen.

Umgekehrt handelt der Geschäftsführer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns gemäß § 64 S. 2 GmbHG (bis 31.10.2008: § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG) und nicht pflichtwidrig, wenn er seiner Abführungspflicht nachkommt. Die möglicherweise „zuviel“ bezahlten Beiträge können, wenn es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt, als mittelbare Zuwendungen an die Einzugsstelle vom Insolvenzverwalter nach den §§ 129 ff. InsO angefochten und zurückverlangt werden (BGH, Urteil vom 05.11.2009 – IX ZR 233/08).

Mit der aktuellen Entscheidung des Bundesgerichthofs vom 18. Januar 2010 (Az: II ZA 4/09) wird diese Rechtsprechung bestätigt. Auch läuft sie nun zu großen Teilen im Gleichklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der annimmt, dass die Nichterfüllung der Pflicht zur Abführung von Steuern die persönliche Haftung des Geschäftsführers nach §§ 69, 34 AO auch im Stadium der Insolvenzreife begründet (BFH, Urteil vom 27. Februar 2007 – VII R 67/05; Beschluss vom 04. Juli 2007 – VII B 268/06).

Im Falle der Insolvenzreife kann der Geschäftsführer Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung also weiterhin bezahlen, ohne sich deswegen schadensersatzpflichtig zu machen. Die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ist, im Gegensatz zur Abführung der Arbeitgeberbeiträge (BGH, Urteil vom 08. Juni 2009 – II ZR 147/08), mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar. Zwingend abzuführen sind die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, wenn auf andere Verbindlichkeiten der Gesellschaft geleistet wird, beispielsweise Nettolöhne ausbezahlt werden.

Allerdings kann der Geschäftsführer die Insolvenzantragsfrist nutzen, um die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft zu prüfen. Wird nach der Überprüfung kein Insolvenzantrag gestellt, sind die Beiträge aber nach- und weiter fortzuzahlen.

Christian Schlemmer

 

Rechtsanwalt

Karlsruhe