Kongruente Rückzahlungen im Kontokorrent sind auch ohne Kündigung des Kredits möglich

Der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich in der Vergangenheit bereits umfassend mit der Frage der Insolvenzanfechtung bei Kontokorrentverrechnungen auseinandergesetzt und hat aktuell mit seinem Beschluss vom 11. Februar 2010 seine Rechtsprechung hierzu konsequent fortgeführt und um einen weiteren Aspekt ergänzt.

 

Hat der Schuldner einen ungekündigten Kontokorrentkredit nicht ausgeschöpft, führen in kritischer Zeit eingehende, dem Konto gutgeschriebene Zahlungen, denen keine Abbuchungen gegenüber stehen, infolge der damit verbundenen Kredittilgung grundsätzlich zu einer inkongruenten Deckung zu Gunsten des Kreditinstituts (vgl. BGH, Urteil v. 07.05.2009 - IX ZR 140/08, ZIP 2009, 1124; vgl. BGH, Urt. v. 1. 10. 2002 - IX ZR 360/99, NZI 2003, 34, 35; vgl. BGH, Urt. v. 15. 11. 2007 - IX ZR 212/06, DZWIR 2008, 153, 155, vgl. BGH, Urt. v. 17. 6. 1999 - IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780). Insofern richtet sich also eine Anfechtbarkeit nach § 131 InsO und eine solche ist aufgrund der dort nicht notwendigen subjektiven Tatbestandsmerkmale oft gegeben. Der Einwand des Bargeschäfts nach § 142 InsO kommt bei einer inkongruenten Deckung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon gar nicht zum Tragen.

Eine kongruente Deckung nach § 130 InsO ist in diesen Fällen grundsätzlich nur dann gegeben, wenn - etwa wegen Ende einer vereinbarten Laufzeit oder aber Kündigung des Kreditvertrages - ein Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Kredits fällig ist. Ein Anspruch der Bank, Gutschriften mit dem Saldo eines Kreditkontos zu verrechnen und dadurch ihre eigene Forderung zu befriedigen, besteht nur dann, wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt der Verrechnung die Rückzahlung des Kredits verlangen kann. Allein die Giro- oder Kontokorrentabrede stellt den dem Schuldner gewährten Kredit nicht zur Rückzahlung fällig, da erst am Ende der Rechnungsperiode die Forderungen im Rahmen des Rechnungsabschlusses miteinander verrechnet werden, wodurch Tilgung eintritt. Jenseits der vertraglichen oder gesetzlichen Verrechnungszeitpunkte besteht bei einem Kontokorrentkredit daher grundsätzlich kein fälliger Rückzahlungsanspruch der Bank.

Verrechnet hingegen das Kreditinstitut für den Kunden eingehende Zahlungen mit ihrem noch nicht fälligen Anspruch auf Darlehensrückzahlung, ist die dadurch erlangte Befriedigung aber auch dann nicht inkongruent, wenn die Verrechnung mit dem Kunden vereinbart war. Diesen Aspekt hatte der Senat in seinem Beschluss vom 11. Februar 2010 zu entscheiden.

Folglich tritt die Kongruenz der Kredittilgung auch dadurch ein, dass das Kreditinstitut mit dem Kunden eine entsprechende Vereinbarung trifft, dass die Kreditlinie gegen Freigabe der Sicherheiten auf Null reduziert wird. In diesem Fall ist das Kreditinstitut berechtigt, im Falle der von dem Kunden zur Durchführung der Vereinbarung veranlassten Zahlungseingänge eine Verrechnung mit den Kreditverbindlichkeiten vorzunehmen, so dass es kongruent handelt.

Folglich ist den Kreditinstituten dringend anzuraten, derartige Vereinbarungen mit ihren Kunden rechtzeitig zu treffen, um einer Anfechtung nach § 131 InsO, welche gegenüber der Anfechtung nach § 130 InsO mit deutlich weniger Aufwand und Beweisschwierigkeiten verbunden ist, zu entgehen. Rückführungen des Kontokorrentkredits können somit auch noch in kritischer Zeit ermöglicht werden, sofern die Bank keine Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hat.

Christian Schlemmer

 

Rechtsanwalt

Karlsruhe